Die Schweizer Energieversorgung soll bis 2050 elektrifiziert werden. Gleichzeitig muss die Stromversorgung jederzeit gesichert sein. Wie ist die Bevölkerung angesichts dieser Herausforderung eingestellt?
Es gibt zwei Argumentationslinien: Bei Energieknappheit kann einerseits die Akzeptanz gegenüber alten «sicheren» Energien wie fossile Energien wieder steigen. Andererseits kann aber auch die Offenheit, neue Technologien mit einheimischen Energien offensiver zu verfolgen, noch grösser werden. Wir haben im Oktober/November 2022 im Rahmen von Sweet Edge* eine Umfrage dazu gemacht und festgestellt, dass die Bevölkerung sowohl die Energie-Sicherheit als auch die Energie-Unabhängigkeit als sehr wichtig erachtet. Aber was ebenfalls hoch gewichtet wird, ist, die Klimaziele dabei nicht aus den Augen zu verlieren. Entsprechend wird gefordert, den CO2-Ausstoss nicht im Ausland zu kompensieren. Das spricht für mich eher dafür, dass aktuell die zweite Argumentationslinie im Aufwind ist. Dies eröffnet möglicherweise ein Fenster, um mit den erneuerbaren Energien schneller voranzukommen. Allerdings kann sich das bei sich verändernder Energielage möglicherweise auch rasch wieder verändern.
*SWEET EDGE ist ein Forschungsprojekt, das vom «SWEET»-Programm (SWiss Energy research for the Energy Transition) des Bundesamts für Energie gefördert und von der Gruppe für erneuerbare Energiesysteme der Universität Genf (UNIGE) und dem Labor für Kryosphärenwissenschaften der Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne (EPFL) koordiniert wird. Es zielt darauf ab, den Einsatz von erneuerbaren Energien, lokal und dezentral in der Schweiz, zu beschleunigen.
Das Problem ist, dass immer dann, wenn man Kosten ins Spiel bringt, die Ablehnung von Massnahmen steigt.
Wo liegt die Schmerzgrenze der Bevölkerung?
Das ist die zentrale Frage für uns. Es gibt einen Widerspruch zwischen den als wirkungsvoll beurteilten Massnahmen und dem, was die Bevölkerung zu akzeptieren bereit ist. Das Problem ist, dass immer dann, wenn man Kosten ins Spiel bringt, die Ablehnung von Massnahmen steigt. Die Kostenresilienz in der Bevölkerung ist nach wie vor sehr gering.
Man muss zudem unterscheiden zwischen Bereichen, in denen Einzelne etwas bewirken können und grossen Projekten, bei denen die Individuen nicht selbst agieren. In letzterem Bereich geht es vor allem um Einsprachen. Bei der Photovoltaik etwa ist zwar der Einzelne gefragt, aber wir sind nun mal ein Volk von Mieter:innen. Bei den Eigenheimbesitzer:innen müsste wohl noch mehr im Bereich Subventionen geschehen, damit sich die Investition in solche Anlagen auch kurzfristig und überall lohnt. Negative Anreize hingegen müssen beseitigt werden, wie etwa das Bruttoprinzip bei der Besteuerung von Einnahmen in manchen Kantonen. Damit wird der selbst produzierte Strom besteuert, das ist der Bevölkerung nicht vermittelbar.
Mit welchen Massnahmen und Argumenten kann die Politik die Bevölkerung erreichen?
Es braucht wohl von allem etwas, gute Anreizstrukturen, aber teilweise auch strikte Verbote und Gebote. Das Massnahmenpaket Energiestrategie 2050 sah vor, am Anfang auf Förderung zu setzen, dann zunehmend durch Anreize zu lenken. Seit zehn Jahren gibt es als Lenkungsinstrument die CO2-Abgaben. Doch dieses steuert kaum, denn die Abgaben müssten viel höher sein, um für Haushalte sichtbar zu werden und Verhalten zu ändern. Vor der aktuellen Krise wurde oft argumentiert, dass eine Steuer auf Treibstoff dazu führen würde, dass sich viele Menschen das Autofahren nicht mehr leisten könnten und sie deshalb gezwungenermassen deutlich weniger Autofahren würden.
Verbote oder Vorschriften, so unpopulär sie auch sein mögen, funktionieren möglicherweise besser
Doch was ist jetzt passiert? Obwohl die Treibstoffpreise zwischenzeitlich höher waren als unter verschiedenen Steuerszenarien diskutiert, gab und gibt es praktisch keine Verhaltensänderung. Um das Verhalten zu ändern, müssten die Preise also so hoch sein, dass sie zumindest Teile der Bevölkerung vor ein echtes finanzielles Problem stellen würden. Das ist politisch problematisch und nicht durchsetzbar, weil es natürlich soziale Ungleichheit fördert. Verbote oder Vorschriften, so unpopulär sie auch sein mögen, funktionieren deshalb möglicherweise besser. Wenn beispielsweise die Vorschrift existiert, dass jeder Neubau eine PV-Anlage haben muss, dann muss das eben umgesetzt werden. Da sehe ich aktuell die grösseren Chancen. Und trotzdem braucht es wie gesagt wohl einen Mix unterschiedlicher Instrumente, um die Klimaziele zu erreichen.