«Der gesetzlich verankerte Atomausstieg war einer der grössten Fehler» (2/2)

Im zweiten Teil des Interviews erklärt Dr. Peter Richner unter anderem, was er vom gesetzlich verankerten Atomausstieg hält und welches für ihn das wichtigste Schweizer Projekt im Bereich der erneuerbaren Energie darstellt.

Luc Descombes
10. März 2023
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Foto: zVg - Dr. Peter Richner, Stv. Direktor Empa und Leiter des Departements Ingenieurswissenschaften.
Zum ersten Teil des Interviews

Wie sinnvoll war es, den Atomausstieg im Gesetz zu verankern?

Das war meines Erachtens einer der grössten Fehler, den man machen konnte. Nicht etwa, weil ich für den Bau neuer AKW wäre. Aber die Diskussion über den Bau neuer Kernkraftwerke nimmt heute so viel Raum ein, dass man nicht mehr über die entscheidenden Fragen diskutiert. Wenn heute entschieden würde, dass man neue Kernkraftwerke bauen will, dann dauert es  mindestens 10 bis 15 Jahre, bis die ans Netz kämen. Die Frage ist aber, wie wir während der kommenden zehn Jahre einen Energiemangel vermeiden können. Darüber muss nun gesprochen werden. Die AKW-Debatte ist angesichts dessen ein willkommener Ausweg, um über aktuell irrelevantes zu diskutieren. Sie bietet einem wunderbar die Gelegenheit, sich aus ideologischen Gründen zu streiten statt sich den zugegebenermassen schwierigen aktuell anstehenden Fragen zu widmen.

Wie würden Sie das Problem lösen?

Ich bin für Technologieneutralität. Man sollte den Atomausstieg aus dem Gesetz streichen. Aber bedenken Sie: die Kernkraft wird seit Tag eins stark subventioniert, weil man die Versicherungssumme pro AKW auf ca. 1.5 Mrd pro Kraftwerk limitiert hat. Man muss also ehrlich rechnen, dann werden wir sehen, wer noch in neue Atomkraftwerke investieren will. Zudem stellt sich auch die Frage, ob in einem zukünftigen dynamischen Energiesystem Platz wäre für eine Technologie, die primär Bandenergie liefert, die sich schlecht regulieren lässt. Aber auch diesen Entscheid würde ich den Investoren überlassen.

Kann man denn nicht auf einen Gamechanger hoffen, der die Probleme der Kernkraft aus dem Weg räumt?

Das ist eine Hoffnung für die nächste Generation. Wenn es beispielsweise gelingen sollte, mit AKW der nächsten oder übernächsten Generation den schon angefallenen Atommüll entscheidend zu reduzieren, dann entsteht ein  neuer Zusatznutzen, den man dann unbedingt prüfen sollte. 

Auf jedes neue Gebäude gehört eine Solaranlage

Sie sind Spezialist für energieeffizientes Bauen. Im Schweizer Gebäudepark wird mitunter das grösste energetische Optimierungspotenzial verortet. Sind Sie hier zufrieden mit dem Fortschritt der Energiewende?

Bei den Neubauten sind wir sehr gut unterwegs. Die haben vergleichsweise nur noch einen geringen Energiebedarf. Hier muss man nun einfach durchsetzen, dass auf neuen Gebäuden Solaranlagen installiert werden müssen. Als ich vor 30 Jahren gebaut habe, war der teuerste Raum der Schutzbunker im Keller. Der war für mich reiner Zwangskonsum. Wir mussten ihn bauen, weil es in der Gemeinde nicht genügend Schutzplätze gab. Heute stehen wir vor der nationalen Herausforderung, dass wir unser Energiesystem umbauen müssen. Da gehört schlicht auf jedes neue Gebäude eine PV-Anlage.

Was gilt es bei den Bestandsbauten zu tun?

Hier stellt sich die Frage, inwiefern man den Hausbesitzerinnen und -besitzern Vorschriften machen soll. Das ist eine schwierige Debatte. Ich verstehe die Kantone, die durchgesetzt haben, dass man fossile Heizungen nicht mehr mit fossilen ersetzen darf. Nichtsdestotrotz wäre es mir lieber, man würde zuerst dafür sorgen, dass die Gebäude energetische saniert würden und man dann erst das Heizsystem austauscht. Denn wenn ein Haus schlecht isoliert ist, dann ist auch eine Wärmepumpe nicht so effizient, wie sie es sein könnte. Damit ist niemandem geholfen. Man müsste viel systematischer vorgehen, die Gebäude erst analysieren und dann entscheiden, in welcher Reihenfolge man vorgeht.

Ich frage mich, ob man nicht Sanierungshypotheken auflegen könnte, die an die Liegenschaften gebunden wären statt an die Eigentümer

Oft wird ja gerade älteren Menschen die Erhöhung der Hypothek verwehrt, die für die Sanierung notwendig wäre…

Ja diesbezüglich haben wir immer noch ein Problem. Es bräuchte meines Erachtens neue Finanzierungsmodelle. Ich frage mich, ob man nicht Sanierungshypotheken auflegen könnte, die an die Liegenschaften gebunden wären statt an die Eigentümer. Zurückbezahlt würden sie immer von den aktuellen Hausbesitzern. Diese würden Energiekosten einsparen und könnten mit einem Teil dieser Einsparungen die Hypotheken abbezahlen.  
 

Welche innovativen Beschleuniger der Energiewende darf man von der Wissenschaft in nächster Zeit erwarten?

Im Bereich der Digitalisierung und dem optimalen Betrieb des Energiesystems wird sehr viel geschehen. Da existiert wie gesagt auch ein Potenzial, das uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen wird. Bei der Empa haben wir zum Beispiel kürzlich einen digitalen Helfer installiert, der bei uns die Heizkurve optimiert. Der ist einfach zu installieren und erspart uns 23 Prozent der Heizkosten - ganz ohne Komforteinbusse. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs an Innovationen. Auch bei den Batterien erwarte ich grosse Sprünge. Es werden billigere, leistungsfähigere und umweltfreundlichere Technologien verfügbar, die weniger auf seltenen Erden basieren. Mithilfe solcher Technologien wird es uns auch gelingen, mehr Häuser untereinander zu dezentralen Versorgungsinseln zu vernetzen, was wiederum das Hochspannungsnetz entlasten wird.
 

Welches sind für Sie aktuell die vielversprechendsten Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in der Schweiz?

Wir sind nach wie vor ein Land der Mieterinnen und Mieter. Viele würden gerne etwas machen, können aber nicht. Ich glaube es besteht viel Potenzial, wenn man den Menschen die Möglichkeit eröffnet, sich an grossen Solaranlagen zu beteiligen und dafür von günstigem Solarstrom zu profitieren. Man muss einen Weg finden, diesen grossen Teil der Bevölkerung zu aktivieren. Da tut sich schon vieles, doch es braucht noch mehr. So kommen wir gemeinsam ins Handeln. Ich bin zudem gespannt, ob sich die grossen alpinen Solaranlagen in der Schweiz durchsetzen werden. Ich wage keine Prognose.

Wie sinnvoll war es, den Atomausstieg im Gesetz zu verankern?

Das war meines Erachtens einer der grössten Fehler, den man machen konnte. Nicht etwa, weil ich für den Bau neuer AKW wäre. Aber die Diskussion über den Bau neuer Kernkraftwerke nimmt heute so viel Raum ein, dass man nicht mehr über die entscheidenden Fragen diskutiert. Wenn heute entschieden würde, dass man neue Kernkraftwerke bauen will, dann dauert es  mindestens 10 bis 15 Jahre, bis die ans Netz kämen. Die Frage ist aber, wie wir während der kommenden zehn Jahre einen Energiemangel vermeiden können. Darüber muss nun gesprochen werden. Die AKW-Debatte ist angesichts dessen ein willkommener Ausweg, um über aktuell irrelevantes zu diskutieren. Sie bietet einem wunderbar die Gelegenheit, sich aus ideologischen Gründen zu streiten statt sich den zugegebenermassen schwierigen aktuell anstehenden Fragen zu widmen.

Wie würden Sie das Problem lösen?

Ich bin für Technologieneutralität. Man sollte den Atomausstieg aus dem Gesetz streichen. Aber bedenken Sie: die Kernkraft wird seit Tag eins stark subventioniert, weil man die Versicherungssumme pro AKW auf ca. 1.5 Mrd pro Kraftwerk limitiert hat. Man muss also ehrlich rechnen, dann werden wir sehen, wer noch in neue Atomkraftwerke investieren will. Zudem stellt sich auch die Frage, ob in einem zukünftigen dynamischen Energiesystem Platz wäre für eine Technologie, die primär Bandenergie liefert, die sich schlecht regulieren lässt. Aber auch diesen Entscheid würde ich den Investoren überlassen.

Kann man denn nicht auf einen Gamechanger hoffen, der die Probleme der Kernkraft aus dem Weg räumt?

Das ist eine Hoffnung für die nächste Generation. Wenn es beispielsweise gelingen sollte, mit AKW der nächsten oder übernächsten Generation den schon angefallenen Atommüll entscheidend zu reduzieren, dann entsteht ein  neuer Zusatznutzen, den man dann unbedingt prüfen sollte. 

Auf jedes neue Gebäude gehört eine Solaranlage

Sie sind Spezialist für energieeffizientes Bauen. Im Schweizer Gebäudepark wird mitunter das grösste energetische Optimierungspotenzial verortet. Sind Sie hier zufrieden mit dem Fortschritt der Energiewende?

Bei den Neubauten sind wir sehr gut unterwegs. Die haben vergleichsweise nur noch einen geringen Energiebedarf. Hier muss man nun einfach durchsetzen, dass auf neuen Gebäuden Solaranlagen installiert werden müssen. Als ich vor 30 Jahren gebaut habe, war der teuerste Raum der Schutzbunker im Keller. Der war für mich reiner Zwangskonsum. Wir mussten ihn bauen, weil es in der Gemeinde nicht genügend Schutzplätze gab. Heute stehen wir vor der nationalen Herausforderung, dass wir unser Energiesystem umbauen müssen. Da gehört schlicht auf jedes neue Gebäude eine PV-Anlage.

Was gilt es bei den Bestandsbauten zu tun?

Hier stellt sich die Frage, inwiefern man den Hausbesitzerinnen und -besitzern Vorschriften machen soll. Das ist eine schwierige Debatte. Ich verstehe die Kantone, die durchgesetzt haben, dass man fossile Heizungen nicht mehr mit fossilen ersetzen darf. Nichtsdestotrotz wäre es mir lieber, man würde zuerst dafür sorgen, dass die Gebäude energetische saniert würden und man dann erst das Heizsystem austauscht. Denn wenn ein Haus schlecht isoliert ist, dann ist auch eine Wärmepumpe nicht so effizient, wie sie es sein könnte. Damit ist niemandem geholfen. Man müsste viel systematischer vorgehen, die Gebäude erst analysieren und dann entscheiden, in welcher Reihenfolge man vorgeht.

Ich frage mich, ob man nicht Sanierungshypotheken auflegen könnte, die an die Liegenschaften gebunden wären statt an die Eigentümer

Oft wird ja gerade älteren Menschen die Erhöhung der Hypothek verwehrt, die für die Sanierung notwendig wäre…

Ja diesbezüglich haben wir immer noch ein Problem. Es bräuchte meines Erachtens neue Finanzierungsmodelle. Ich frage mich, ob man nicht Sanierungshypotheken auflegen könnte, die an die Liegenschaften gebunden wären statt an die Eigentümer. Zurückbezahlt würden sie immer von den aktuellen Hausbesitzern. Diese würden Energiekosten einsparen und könnten mit einem Teil dieser Einsparungen die Hypotheken abbezahlen.  
 

Welche innovativen Beschleuniger der Energiewende darf man von der Wissenschaft in nächster Zeit erwarten?

Im Bereich der Digitalisierung und dem optimalen Betrieb des Energiesystems wird sehr viel geschehen. Da existiert wie gesagt auch ein Potenzial, das uns ganz neue Möglichkeiten eröffnen wird. Bei der Empa haben wir zum Beispiel kürzlich einen digitalen Helfer installiert, der bei uns die Heizkurve optimiert. Der ist einfach zu installieren und erspart uns 23 Prozent der Heizkosten - ganz ohne Komforteinbusse. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs an Innovationen. Auch bei den Batterien erwarte ich grosse Sprünge. Es werden billigere, leistungsfähigere und umweltfreundlichere Technologien verfügbar, die weniger auf seltenen Erden basieren. Mithilfe solcher Technologien wird es uns auch gelingen, mehr Häuser untereinander zu dezentralen Versorgungsinseln zu vernetzen, was wiederum das Hochspannungsnetz entlasten wird.
 

Welches sind für Sie aktuell die vielversprechendsten Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien in der Schweiz?

Wir sind nach wie vor ein Land der Mieterinnen und Mieter. Viele würden gerne etwas machen, können aber nicht. Ich glaube es besteht viel Potenzial, wenn man den Menschen die Möglichkeit eröffnet, sich an grossen Solaranlagen zu beteiligen und dafür von günstigem Solarstrom zu profitieren. Man muss einen Weg finden, diesen grossen Teil der Bevölkerung zu aktivieren. Da tut sich schon vieles, doch es braucht noch mehr. So kommen wir gemeinsam ins Handeln. Ich bin zudem gespannt, ob sich die grossen alpinen Solaranlagen in der Schweiz durchsetzen werden. Ich wage keine Prognose.

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Die Energiewende bedeutet für Sie…?

…dass wir zukunftsfähig werden und dadurch Sicherheit und Wohlstand generieren. Das Schöne daran ist, dass wir es schaffen können, wenn wir es wollen. Davon bin ich überzeugt.

Die Energiewende bedeutet für Sie…?

…dass wir zukunftsfähig werden und dadurch Sicherheit und Wohlstand generieren. Das Schöne daran ist, dass wir es schaffen können, wenn wir es wollen. Davon bin ich überzeugt.

Foto zeigt Peter Richner, Stellvertretender Direktor der Empa
Dr. Peter Richner ist stellvertretender Direktor der Empa und Departementsleiter Ingenieurswissenschaften. Der Wissenschaftler ist spezialisiert im Bereich des energieeffizienten Bauens und leitet gemeinsam mit einem Kollegen den Forschungsschwerpunkt "Nachhaltiges Bauen".
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